Schanghai - Die Stadt über dem Meer

15 April 2007

TEXT, GRAFIKEN & FOTOS: LIA RÖCK, TEXT ERSCHIENEN IM FORUM 04/2007

2007 verspricht ein gutes Jahr zu werden – zumindest laut dem chinesischen Horoskop. Seit dem 18. Februar hat das Jahr des Schweins begonnen. Während in Europa das Schwein zuweilen mit negativen Attributen besetzt ist, gilt das Patentier des neuen Jahres in China als ein überaus sympathisches und sensibles Tier, das ein erfolgreiches Jahr verheißt. Jedenfalls für die Vorbereitungen auf die Expo 2010 in Shanghai wird dies vonnöten sein, um das vorgenommene allumfassende Stadtentwicklungsprojekt nach dem Motto „better city, better life“ innerhalb der noch verbliebenen drei Jahre umsetzen zu können.
Innerhalb kürzester Zeit hat sich Shanghai abgesehen vom Input durch die bevorstehende Expo zu einer der pulsierendsten Metropolen in Asien gemausert, dessen Stadtbild sich im Laufe des letzten Jahrzehnts enorm verändert hat. Neue Stadtteile wie beispielsweise Pudong schossen förmlich aus dem Boden. Bei einer solch rasanten Entwicklung ist es nicht verwunderlich, dass der allgemeinen Baueuphorie aber auch ein beträchtlicher Teil der alten Stadtstruktur zum Opfer fallen, Grünflächen auf ein Minimum reduziert und dem ansteigenden Verkehr immer mehr Fläche zugestanden werden. Es drängt sich dabei die Frage nach der zukünftigen Entwicklung Shanghais auf. Aber auch welche Einflüsse die bisherige Stadtstruktur und Architektur geprägt haben und wo diese heute noch lesbar sind.

Abb. 1: Luftaufnahme Shanghai-Pudong
„Die Stadt über dem Meer“, wie Shanghai übersetzt bedeutet, grenzt im Nordwesten an die Provinz Jiangsu, im Südwesten an die Provinz Zhejiang. Nördlich der Stadt mündet der Yangtse ins Ostchinesische Meer. Der 128 km lange Wusong-Fluss, auch unter dem Namen Suzhou Creek bekannt, durchfließt Shanghai von West nach Ost und ergießt sich im Stadtzentrum in den 114 km langen Huangpu-Fluss.

Die Gesamtfläche beträgt 6340 km2, davon sind 2057 km2 städtische Fläche. 375 km2 eigentliches Stadtgebiet und 122 km2 Wasser. Die Küstenlinie ist 200 km lang. Shanghai liegt durchschnittlich 4 m über dem Meeresspiegel.
Im Verwaltungsbezirk leben 14,8 Millionen Menschen plus etwa 3 Millionen nicht registrierte Wanderarbeiter. Die Bevölkerungsdichte im Umland liegt bei bis zu 2057 Menschen/km2, im Stadtgebiet bei bis zu 4672 Menschen/km2.

Stadtentwicklung in Shanghai
Abb. 2: Ming Shanghai. Urban Planning Exhibition Hall – Shanghai
Shanghai entwickelte sich binnen von 600 Jahren aus einem Fischerdorf zu einer ummauerten Stadt. Mitte des 19. Jahrhunderts war Shanghai schließlich mit rund 400.000 Einwohnern das größte kommerzielle Zentrum im Gebiet des Yangtse. Innerhalb seiner Stadtmauern verzweigte sich ein Netz aus Gassen mit kleinen Häusern und Wasserkanälen, die zum Transport von Menschen und Gütern, aber auch als Badersatz genutzt wurden.
Abb. 3: Zhouzhuang
Das damalige Shanghai lässt sich mit dem heutigen Zhouzhuang, einem Dorf das westlich von Shanghai liegt, vergleichen. Außerhalb der Stadtmauern lag weites, flaches Sumpfland mit unzähligen Kanälen, die die Stadt mit dem Umland und der Yangtse Mündung verbanden.
Abb. 4: Official Chinese map of Shanghai (1901)
Shanghai entwickelte sich bis Mitte des 19. Jh. sehr gemächlich. 1843 gewannen die Briten den 1. Opiumkrieg. Als Folge davon gründeten sie eine Konzession in Shanghai. Daraufhin explodierte die Stadt geradezu, wurde in nur wenigen Jahren eine der bedeutendsten Handelsmetropolen Asiens. Zunächst durften die ungeliebten Ausländer lediglich innerhalb festgelegter Grenzen möglichst weit nördlich der chinesischen Stadt Grundstücke erwerben, die unter der Rechtssphäre des jeweiligen Landes standen. Chinesen durften anfänglich in diesen Gebieten keine Grundstücke erwerben, aber dort wohnen und genossen dann ebenfalls den Schutz der Exterritorialität.
Der Zustand gegenseitiger tiefer Abneigung änderte sich grundlegend mit der Taiping-Rebellion 1850/1864. Zehntausende Chinesen suchten Schutz bei den ausländischen Mächten. Schon bald bedeckten chinesische Häuser fast alle von Ausländern erworbenen Grundstücke – der Landspekulation waren Tür und Tor geöffnet, die Grundstückspreise stiegen ins Astronomische. In nur wenigen Jahren entwickelte sich Shanghai zum bedeutendsten Handelshafen Chinas, weit vor Hongkong oder Kanton (Guangzhou). Entsprechend wuchs die chinesische Bevölkerung. Lebten in der internationalen Niederlassung 1870 noch 75.000 Chinesen, so waren es 1905 schon 500.000.
Abb. 5: Lilonghäuser
Abb. 6: Chinesenstadt
Abb. 7: Englisch-amerikanische Konzession
Abb. 8: Französische Konzession
Um die Jahrhundertwende war die Stadtentwicklung Shanghais aufgesplittert in Chinesenstadt, International Settlement der Briten und Amerikaner und französische Konzession. Jedes Viertel wurde unabhängig ausgebaut als gäbe es die anderen Teile nicht. Die Chinesenstadt blieb bis 1912 eine eigenständige, von einer Mauer umgebene Stadt in der Stadt. Briten und Amerikaner legten ihre Konzession zwar zum International Settlement zusammen und bauten ein unregelmäßiges Netz aus parallel und rechtwinkelig zum Huangpu-Fluss angelegten Straßen, die Franzosen aber gingen ihre eigenen Wege.

Jeder Teil der Stadt, ob chinesisch, französisch oder britisch-amerikanisch, hatte seine eigene Polizei, Feuerwehr, Kraftwerke, Straßenlaternen, etc.
Shanghai wirkte damals wie eine in Eile erbaute Stadt. Es überwogen auf monotone Art und Weise gebaute Lilong-Häuser (Gassenhäuser) aus roten und blaugrauen Backsteinen. Diese Gebäude wurde unter dem Namen Shikumen bekannt, welche eine Mischung aus traditionellem chinesischem Hofhaus und englischem Arbeiterhaus darstellten und das gesamte Stadtbild Shanghais bis Mitte der 1990er Jahre prägten. Am britischen Bund entstanden mondäne und prunkvolle Bürohäuser. In der atmosphärevollen französischen Konzession entstanden Cafés, Clubs und noble Restaurants, die zum Verweilen einluden und prächtige Villenviertel mit Baumalleen versehene Straßen, die das Bild dieses Teils auch heute noch prägen.
Anfang des 20. Jahrhunderts begannen sich um die beiden Konzessionen herum auch neue, chinesische Viertel zu entwickeln. Dahinter steckte das Konzept eines „Greater Shanghai“, mit dem die Chinesen den Ausländern eine Art chinesische Niederlassung entgegenstellen wollten. Im Norden entstand Jiangwan, im Nordosten Wusong und im Süden Nanshi.
Ab den 20er Jahren des 20. Jh. begannen, wegen der enormen Grundstückspreise, Wolkenkratzer das Bild Shanghais zu bestimmen. Vor allem in den letzten paar Jahren wurden große Flächen der charakteristischen Lilong-Häuser zerstört, um Hochhäusern Platz zu machen.
Die 1930er erlebten einen letzten Bauboom westlicher Bauweisen, dann besetzten die Japaner von 1937 bis 1945 die Stadt.
Ab 1949 kam die bis dahin rasante Stadtentwicklung von Shanghai für die kommenden 40 Jahre zu einem nahezu kompletten Stillstand. Erst ab 1992 mit der von Deng Xiaping forcierten Reformpolitik begann die Stadtentwicklung neue Fahrt aufzunehmen.
Nachdem fast 40 Jahre rein gar nichts an Infrastrukturmaßnahmen erfolgt war, baute die Stadt innerhalb eines Jahrzehnts ein komplettes, innerstädtisches Autobahnnetz mit drei gigantischen Hängebrücken, unzähligen neuen Straßen, zwei U-Bahn-Linien und eine Hochbahnlinie sowie einen neuen Bahnhof. Inzwischen ist eine Transrapid-Linie gebaut worden, die den neuen Großflughafen, der Anfang 2000 eingeweiht wurde, bedient. Bis 2020 soll das U-Bahnnetz auf bis zu 17 Linien aufgestockt werden. Darüber hinaus wurde eine allumfassende Stadtsanierung in Angriff genommen.

Abb. 9: Shanghai City Exhibition Hall
In der „Shanghai City Planning Exhibition Hall“ auf dem Renmin Square einem ehemaligen Pferderennplatz der Briten sind auf mehreren Etagen Modelle der Stadtentwicklung und –planung präsentiert. Beim Anblick des gigantischen Stadtmodells, als Vision des Shanghai von morgen gedacht, wird einem bewusst welche Umwälzungen die Stadt in Zukunft noch erfahren wird. Besonders die eingeschossigen Altstadthäuser sollen nach und nach durch Hochhäuser ersetzt werden. Beim Vergleich der heutigen Situation der Altstadt Shanghais mit dem Zukunftsmodell scheinen nur mehr die beiden Straßenachsen und die Umrisse der ehemaligen Stadtmauer, heute ersetzt durch eine Ringstraße, erhalten zu bleiben.

Abb. 10: Renoviertes Lilongviertel
Eine Ausnahme zum allgemeinen Neubautrend stellen vereinzelte Sanierungsprojekte wie beispielsweise „Xintiandi“ dar. Xintiandi beschreibt einen exklusiven Restaurant-, Kneipen- und Shoppingkomplex für den ein ganzer Block der alten Shikumen-Häuser renoviert wurde. Heute ein beliebter Aufenthaltsort für Touristen und Ausländer oder auch neureiche Chinesen – denn für ein bisschen Konsum mit Nostalgieflair muss auch im ansonsten für westliche Verhältnisse billigen China einige Yuans locker gemacht werden.

Abb. 11: Kernstadt mit neun Satellitenstädten.
Abb. 12: Shanghai und seine neun Städte.
Shanghais größtes Problem, die vielen Einwohner, wurde mit Satellitenvierteln gelöst, wobei Pudong das bekannteste ist. In riesigen abgegrenzten Wohngebieten mit eigenem Pförtner finden nun oftmals die ehemaligen Bewohner von ein- bis zweigeschossigen Shikumenhäusern dort eine neue Heimat. Zwar bedeutet der Komfort – eigenes Bad, fließendes Wasser, etc. – eine wesentliche Steigerung der Lebensqualität, jedoch ist mit dem neuen Zuhause meist die Distanz zum Arbeitsplatz größer geworden, da leistbare Wohnungen für den Normalverbraucher nur am Stadtrand vorzufinden sind. Der Verlust des bisherigen Sozialnetzes kommt meist noch erschwerend hinzu.

Die gesteckten Ziele für die Stadtentwicklung in Shanghai entsprechen der gewaltigen Fläche des Landes der aufgehenden Sonne.
Es bleibt zu hoffen, dass neben dem technischen Fortschritt den Begriffen Umweltschutz oder Lebensqualität für die Zukunft mehr Beachtung geschenkt wird. Der Austausch mit der westlichen Welt spielt dabei eine große Rolle. Vor allem europäische Standards von Nachhaltigkeit sowie Erhaltung und Bewahrung von Kultur und Natur werden durch im Ausland studierende Chinesen bereits vermittelt. Universitäten übernehmen in China aber auch im Ausland eine wichtige Aufgabe chinesische Akademiker heranzubilden, die neben dem schnellen Geld auch diese Werte in ihrer Arbeit umsetzen.
Ein Schritt, eine Verbindung und einen Austausch der Kulturen auf globaler Ebene zu erreichen, ist sicherlich auch die Expo. Das Motto „better city, better life“ lässt einiges erhoffen. In welche Richtung sich Shanghai entwickelt, wird jedenfalls 2010 globaler medialer Aufmerksamkeit zu Teil kommen.

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